Herr Dachs

Herr Dachs lebt in einem tiefen dunklen Wald unter einer großen alten Baumwurzel. Dort hatte er sich vor vielen Jahren eine Höhle gegraben und sie wohnlich gestaltet. Alle Tiere im Wald mögen den alten Dachs und schätzen ihn, denn er hat für alle Tiere stets ein gutes Wort und weiss auf all ihre Fragen immer die richtige Antwort. Keiner kannte seinen richtigen Namen, alle nannten ihn nur "Herr Dachs".

Aber trotz seines schönen Zuhause war Herr Dachs sehr traurig, denn er hatte leider keine Familie. Wie gerne wäre er doch Großvater geworden, dann hätte er mit seinen Enkeln spielen können. Oder er könnte sie abends zu Bett bringen und ihnen eine Gute-Nacht-Geschichte vorlesen. Aber in diesem dunklen tiefen Wald wollte nun einmal nie eine Dachsfrau leben, so blieb er eben alleine und fügte sich seinem Schicksal. Aber traurig war er trotzdem.

Eines Morgens, als Herr Dachs auf der Bank vor seiner Höhle in der Morgensonne saß und genüßlich an seiner Pfeife zog, hörte er von weit her ein leises Bellen. Erst dachte er, er hätte sich verhört. Aber nein, da war es wieder, dieses Bellen, diesmal etwas lauter. Und es kam näher!

Herr Dachs legte die Pfeife beiseite, erhob sich und lauschte angestrengt in den dunklen Wald hinein. Ja, jetzt war es ganz deutlich. Das Bellen eines Hundes. Und es wurde immer lauter. "Komisch", dachte sich Herr Dachs, "was macht ein Hund mitten in unserem tiefen dunklen Wald?"

Nun war ein Krachen und Poltern, ein Knacken von zerbrechenden Ästen zu hören. Und ein Hecheln und Winseln, das immer näher kam. Plötzlich schoss ein rotbraunes Tier aus dem Unterholz hervor und rannte direkt auf Herr Dachs zu.

"Bitte, bitte, Herr Dachs, bitte verstecke mich. Der Hund des Jägers ist hinter mir her!" Es war der Fuchs, der jetzt zitternd und atemlos vor Hern Dachs auf dem Boden kauerte.

Blitzschnell reagierte der Dachs, half dem Fuchs auf die Beine, schleppte ihn in seine Höhle und verstecke ihn hinter ein paar Kisten. Dann trat er vor die Höhle, schloß die Tür hinter sich und setzte sich seelenruhig wieder auf sein Bank. Er steckte sich seine Pfeife in den Mund und wartete.

Ein ohrenbetäubendes Krachen kam aus dem Wald, und dann tauchte ein riesiger Schädel auf! Mit einem gewaltigen Satz sprang der Hund des Jägers genau auf Herrn Dachs zu und baute sich bedrohlich vor ihm auf.

Der ließ sich überhaupt nicht beeindrucken, legte die Pfeife beiseite und betrachtete sein Gegenüber lange.  Oh ja, er war schon gefährlich anzusehen mit seinem zottigen Fell, den rotglühenden Augen und seinen spitzen Zähnen.

"Was willst Du hier?" fragte Herr Dachs. Ein dumpfes Knurren war zu hören, als der Jagdhund antwortete. "Ich will den Fuchs. Hast Du ihn gesehen?"

"Nein, ich habe schon lange keinen Fuchs mehr gesehen," antwortete der Dachs ruhig, "wenn ich es mir genau überlege, schon seit Jahren nicht mehr."

"Er muß aber hier vorbeigekommen sein, ich rieche ihn ganz deutlich." knurrte es.

"Ja, jetzt, wo Du es sagst: etwas Braunes kam vorhin aus dem Unterholz geschossen und hat mich fast umgerannt. Dann war es auch schon wieder verschwunden! Das könnte wohl der Fuchs gewesen sein."

Der Hund fletschte die Zähne und kam ganz dicht heran, so daß Herr Dachs seinen heißen Atem fühlen konnte. Mit einem grollenden Knurren, das aus tiefster Kehle zu kommen schien, drohte er: "Ich hoffe für Dich, daß Du die Wahrheit sagst. Sonst komme ich zurück und hole Dich!"

Herr Dachs blieb die Ruhe selbst, zog an seiner Pfeife und blies den Rauch direkt ins Gesicht seines Gegenübers. Wortlos drehte sich der Hund um und rannte in die Richtung, die ihm der Dachs gedeutet hatte.

"Puh" schnaufte Herr Dachs, "das war knapp!" Dann stand er auf, öffnete die Tür zu seiner Höhle und ließ den Fuchs wieder heraus. Der zitterte noch am ganzen Körper.

"Danke, Herr Dachs, vielen Dank. Das werde ich Dir niiiieee vergessen! Bitte komm doch morgen zu mir, ich wohne gleich neben der alten Eiche. Meine Frau und meine Kinder würden sich bestimmt über Deinen Besuch freuen."

"Danke, Fuchs, ich komme gerne, um Deine Familie kennenzulernen." sagte Herr Dachs und dann verabschiedeten sich die Beiden.

Der Dachs aber dachte bei sich: "Ja, vielleicht werde ich nun ja doch noch so eine Art Großvater". Er freute sich schon so sehr darauf, morgen den Fuchs und seine Familie zu besuchen.